Geld als der eigentliche Gott: Heute noch so aktuell wie zu Martin Luthers Zeiten

Wed, 09 Nov 2016 18:32:24 +0000 von Ralf Neite

Prof. Dr. Carsten Jochum-Bortfeld hält an den Berufsbildenden Schulen Alfeld eine Vorlesung über den Wert des Menschen

Alfeld. „Was würde Luther wohl heute zu unserem Wirtschaftssystem sagen?“ Prof. Dr. Carsten Jochum-Bortfeld hat bei einer Vorlesung in den Berufsbildenden Schulen Alfeld mit dem Titel „Hängt der Wert des Menschen vom Geld ab“ die Aktualität der Thesen Martin Luthers deutlich gemacht. Der Professor lehrt an der Stiftung Universität Hildesheim biblische Theologie und leitet das Fernstudium Evangelische Theologie für Lehrerinnen und Lehrer.

Der Gastvortrag vor dem 12. und 13. Jahrgang des Berufsbildenden Gymnasiums der BBS Alfeld fand in der Reihe BBS-Lectures statt. Das Religionsteam der Schule hat die Reihe initiiert, um die Gymnasiasten schon mal die Vorlesungsatmosphäre eines Studiums erleben zu lassen. Gleichzeitig sollten die Vorträge neue Perspektiven aus theologischer Sicht ermöglichen, gesellschaftliche Werte überdenken lassen, erläutert Schulpastor Dr. Matthias Günther. „Wir brauchen eine kritische Generation, die alles hinterfragt“, sagte Schulleiter Franc Schulz bei der Begrüßung in der Schulaula.

Luthers Thesen seien zu seiner Zeit ein Frontalangriff auf das bestehende Wirtschaftssystem gewesen, so Prof. Dr. Jochum-Bortfeld. Papst Leo X. habe ebenso wie Bischof Albrecht von Mainz auf die Einkünfte aus dem Ablasshandel gebaut – und Luther sagte den Menschen, sie sollten ihr Geld behalten, die Seligkeit sei nicht käuflich. Zudem habe er die Kirche selbst in Frage gestellt mit der These, der Mensch brauche keine Heilsvermittler in seiner Beziehung zu Gott. Martin Luther habe erkannt, dass zu seiner Zeit schon viele das Geld zu ihrem Gott gemacht hätten. „Das Geschehen ist immer noch aktuell.“

Nicht nur in den offensichtlichen Fällen von Menschen- oder Organhandel werde auch heute der Mensch in Geldeswert gemessen. „Sie stellen Lebenszeit für Geld zur Verfügung“, kündigte der Theologe den Schülerinnen und Schülern für ihre kommende Berufstätigkeit an. Oft seien Menschen bereit, mit Medikamenten oder Operationen nachzuhelfen, um auf dem Arbeitsmarkt besser abzuschneiden.

Zwar fürchteten sie heute nicht mehr das Fegefeuer, erklärte Prof. Dr. Jochum-Bortfeld. Stattdessen sei es der Steigerungsimperativ der Gesellschaft, der die Leute unter Druck setze: Sie müssten immer mehr lernen, mehr leisten, mehr Kontakte knüpfen, mehr von der Welt sehen, jedem Trend nachjagen, um ihren Wert zu steigern. Davon Abstand zu gewinnen, das sei der „Beitrag des Christentums zu unserer Gesellschaft“, so Jochum-Bortfeld: „Christlich geprägte Räume sind notwendig, denn dort erfahren Menschen, dass sie wertvoll sind.“

In der folgenden Diskussion wurde deutlich, dass die Gymnasiasten schon in der Schulzeit einem Bewertungssystem nach Leistung unterworfen sind und sich dem kaum entziehen können. Leistung könne ja auch schön und sinnvoll sein, eine Bewertung von Können und Wissen sei oft unumgänglich, sagte der Professor – nur sollten die Menschen sich und ihren Wert nicht darüber definieren: „Den Grad der Unterwerfung kann man mitbestimmen. Es müssen nur ein paar Leute anfangen.“ Wiebke Barth
Quelle: Barth
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