Es geht um Kreativität, um Feminismus, Klimakrise und Flucht
Hildesheim. Die zweite Hälfte der Spielzeit „Fluss“ im Literaturhaus St. Jakobi beginnt – und damit die letzte Halbzeit der Trilogie „Stadt-Land-Fluss“. Die ausgewählten Themen kreisen wieder assoziativ um das Thema Fluss, nehmen den Fluss mal wörtlich als ein Stück vertrauter Heimat oder als bedrohlich anschwellendes Gewässer, mal als kreativen Flow im Schaffensprozess, und beziehen sich ebenso auf den Fluss der Sprache und ihre Wirkung.
Zum Start am 10. März geht es um den kreativen Flow und wie er wieder zum Fließen gebracht werden kann - ganz einfach durch „Draußen gehen“. So lautet der Titel eins Buches, mit dem Christian Sauer für seinen Weg zu Gelassenheit und Inspiration wirbt. Der Mediencoach, Journalist, und Sachbuchautor trifft auf Karin Schmidt-Friderichs, Verlegerin im Verlag Hermann-Schmidt und seit 2019 Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Beide kommen im Literaturhaus mit Julia Kroll ins Gespräch.
Einer der wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller der Gegenwart ist am 18. März Gast im Literaturhaus St. Jakobi. Saša Stanišić wurde bereits eingeladen, bevor er den Deutschen Buchpreis für den Roman „Herkunft“ erhielt, erzählt Intendant Dirk Brall. Das Buch hat autobiographische Züge, erzählt vom Zufall des Geburtsortes und wie der das weitere Leben bestimmt. Saša Stanišić kam zur Welt in Višegrad an der Drina in Bosnien, flüchtete mit seinen Eltern 1992 nach Heidelberg am Neckar und schrieb auf Deutsch seine vielprämierten Bücher.
Dass die Aktivistin der Fridays-for-Future-Bewegung Luisa Neubauer und der Politikökonom Alexander Repenning für einen Termin in Hildesheim gewonnen werden konnten, sei ein Glück, freut sich Brall. In ihrem gemeinsamen Buch „Vom Ende der Klimakrise“ wollen die Autoren nicht nur vor den katastrophalen Folgen des Klimawandels warnen, sondern auch einen Weg in die Zukunft zeigen.
Was Klimaveränderung bewirken kann, bekamen im Sommer 2017 die Menschen im Landkreis Hildesheim bereits zu spüren, als die Innerste viele Ortschaften überschwemmte. Das Bühnenbild der Spielzeit „Fluss“ nimmt darauf mit zu Dämmen aufgestapelten Sandsäcken Bezug. Neubauer und Repenning sprechen am 26. März in St. Jakobi mit dem ZEIT-Journalisten Jens Tönnesmann.
Wie stehen Frauen im Literaturbetrieb da? Wie ist das Verhältnis von Feminismus und Literatur? Kerstin Gleba ist seit 2019 die erste Verlegerin, die den renommierten Verlag Kiepenheuer und Witsch leitet. Sie wird für den Abend des 28. April vier Bücher auswählen, über die sie mit Jenifer Becker vom Literaturinstitut der Hildesheimer Universität spricht. Aus den Werken liest Simone Mende, Schauspielerin am Theater für Niedersachsen. Die Veranstaltung verspricht einen Blick hinter die Kulissen des Literaturbetriebs.
Am 5. Mai bietet das Literaturhaus schon mal einen Vorgeschmack auf das Literaturfestival PROSANOVA: Vom 11. bis 14. Juni ist zum sechsten Mal Gelegenheit, in Hildesheim deutschsprachige Gegenwartsliteratur in geballter Form zu erleben, etablierte SchriftstellerInnen aber auch bisher unveröffentlichte AutorInnen kennenzulernen. NDR Kultur zeichnet den Ausblick auf.
Auch in diesem Semester gibt es wieder eine Poetikvorlesung in Kooperation mit dem Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft. Die hält am 12. Mai der Künstler Arne Rautenberg. Sein kreatives Schaffen fließt zwischen den Ausdrucksformen und Genres, er ist Lyriker und Kinderbuchautor, schafft Collagen und Kunstinstallationen.
Wie geht die Sprache mit dem Schicksal von Tausenden um, die ihre Heimat hinter sich lassen, in die Fremde aufbrechen und dabei einen grausamen Tod sterben? Begriffe wie „Flüchtlingsstrom“ setzen das Leid dieser Menschen mit einem kaum kontrollierbaren Naturereignis gleich und schüren Ängste. Nackte Zahlen schaffen Distanz zur Menschlichkeit. Hannes Leitlein, Journalist und Fotograf aus Berlin, spricht am 4. Juni mit Kristina Milz (Herausgeberin „Todesursache: Flucht“), Newroz Duman (Sprecherin We`ll Come United), Riadh Ben Ammar ( afrique-europe-interact) und Dr. Luise Drüke (ehemalige Vertreterin des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen). Es geht um Fluchtursachen und Entscheidungen über die Zukunft.
Am 24. Juni ist Johannistag – der Tag, der Johannes dem Täufer gewidmet ist, einem Mann am Fluss. Um den Feiertag auf dem Höhepunkt des Sommers gab es früher viele Bräuche, wurden Frohfeuer entzündet und Blumen- oder Kräutersträuße gebunden, wurde getanzt und in fließendem Wasser gebadet. In St. Jakobi soll der Johannistag neu belebt werden. Superintendent Mirko Peisert und Birgit Mattausch, Pastorin am Michaeliskloster, laden ein zu Poesie, Ritualen und Gemeinschaft.
Benjamin Quaderer kam zur Welt in Österreich, ist aufgewachsen in Liechtenstein. Literarisches Schreiben studierte er in Hildesheim und Wien, und er stellt am 13. Juli im Literaturhaus St. Jakobi seinen Debütroman vor. „Für immer die Alpen“ erzählt von einem Betrüger, der sich gegen Verleumdungen wehrt und die Deutungshoheit über sein Leben zurückerlangen will. Der Roman erscheint erst im Frühjahr 2020.
Im neuen Semester fortgeführt wird auch „Irgendwie 248 Sachen“, die Lesebühne für Studierende und alle anderen, am 26. Mai. Das Stimmlabor lädt jeden dritten Freitag im Monat ab 20. März dazu ein, die eigene Stimme und neue Menschen kennenzulernen und die Woche an der Bar ausklingen zu lassen. Am 2. Juli findet ein Rundgang durch die spielzeitbegleitende Ausstellung von KUNSTRAUM 53 mit Gesprächen und Performances statt.
Mit der ersten Spielzeithälfte ist Intendant Brall sehr zufrieden – im Schnitt 80 bis 120 BesucherInnen kamen zu den Veranstaltungen, drei Mal war das Haus sogar komplett ausverkauft. Das Publikum sei offen für Neues und bereit sich überraschen zu lassen, erklärt Brall. Daher solle das Programm viele Facetten der Literatur abbilden.
Das Programm wird gefördert von der Hanns-Lilje-Stiftung der Landeskirche Hannovers. Tickets für die Veranstaltungen im Literaturhaus St. Jakobi gibt es ab Samstag, 1. Februar, bei amei`s Buchecke und im HAZ-Ticketshop. Mehr Informationen gibt es auf www.stjakobi.de . Wiebke Barth