Landessuperintendent Eckhard Gorka im Interview mit der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung
Herr Gorka, stellen Sie sich vor, Sie sind TÜV-Prüfer und die Welt kommt zur Hauptuntersuchung. Bekommt sie die Plakette?
Ja.
Was steht auf der Mängelliste?
Vor allem ungelöste soziale Probleme, Flucht, Verfolgung, Vertreibung. Die Ursachen dafür sind nicht ausreichend angegangen worden. Aber der Zustand ist gegenüber der letzten Hauptuntersuchung deutlich verbessert.
Woran lesen Sie das ab?
Mehr Menschen haben Zugang zu sauberem Trinkwasser. Weniger Menschen hungern – und das bei weiter gewachsener Weltbevölkerung. Zudem greifen Bildungsinitiativen. Auch ist die Zahl der Kriege auf den Stand von Mitte der neunziger Jahre gesunken. Obwohl jeder Krieg einer zu viel ist.
Momentan drängt sich eher der Eindruck auf, dass die Welt aus den Fugen gerät. Selbst im Heiligen Land geht es zur Sache, seitdem darum gekämpft wird, wem denn die Stadt Jerusalem gehört.
Darüber muss man sich Gedanken machen. Ich mache mir aber derzeit noch mehr Sorgen darüber, dass es in Deutschland wieder offenen Antisemitismus gibt, Hassausbrüche spürbar sind und israelische Fahnen verbrannt werden.
Überrascht Sie das?
Ja, die Heftigkeit schon. Und das ist für mich auch nicht dadurch erklärbar, dass man darauf hinweist, dass es sich bei den Tätern um Migranten handele, die Konflikte ihrer Herkunftsländer an ihrem neuen Wohnort austragen. Das Problem ist tiefergehend.
Sind Sie mit der Reaktion aus Politik und Öffentlichkeit zufrieden?
Es war ein kräftiger Aufschrei zu hören. Inwieweit sich die Lage jetzt beruhigt, ist eine zweite Frage. Ich will deutlich sagen, dass mir das wehtut, wenn israelische Fahnen verbrannt werden. Es ist unerträglich, wenn es Angriffe auf jüdische Mitbürger und Einrichtungen gibt.
Also muss das Strafrecht geändert werden?
Ich denke, das Strafrecht gibt schon genug her. Im TÜV-Bericht der Welt steht übrigens auch: Rüstet mal alle verbal ab. Ich bin unbedingt dafür, Online-Kommentare nur unter Klarnamen zuzulassen und nicht mehr unter anonymen Phantasienamen. Wenn ich Online-Kommentare lese, erschrecke ich oft. Ich merke, dass sich sogar in Briefen, die mich erreichen, die Tonlage verändert hat.
Was ist der Grund dafür, nur Social Media?
Das glaube ich nicht. Jetzt muss ich eine Verlegenheit gestehen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum viele Leute unzufrieden sind. Große Teile der Bevölkerung in Deutschland leben in relativem Wohlstand. Wir erleben eine lange Friedenszeit in Mitteleuropa. Wir müssen nicht gleich befürchten, auf der Straße Gewalt zu erfahren. Eine große Zahl Menschen hat genügend Geld und Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten. Dennoch wächst die Unzufriedenheit.
Wird die Unzufriedenheit nicht auch geschürt?
Natürlich gibt es politische Kräfte, die auf dieser Welle reiten. Das haben wir ja auch im Zuge der Wahlen 2017 gesehen. Aber das kann nicht der alleinige Grund sein.
Es gibt aber auch unterprivilegierte Gruppen. Die Schere beim Einkommen geht weiter auseinander. Die Unzufriedenheit ist doch nachvollziehbar.
Ja, es gibt Armut in unserer Gesellschaft. Die Armen werden relativ ärmer und die Reichen relativ reicher. Das kann niemanden kalt lassen. Ich kann auch nicht begründen, warum ein Vorstandsvorsitzender eines niedersächsischen Auto-Unternehmens 250-mal so viel im Monat verdienen muss, wie ein Mitarbeiter am Band. Das ist nicht gerade ein Punkt, der sozialen Frieden stiftet.
Die großen Konflikte in diesen Tagen sind Glaubenskonflikte. Muss das einen Kirchenmann nicht skeptisch machen?
Ich denke, dass die meisten Konflikte, die Sie ansprechen, religiös-überformte nationale Konflikte sind. Das ist schlimmer Missbrauch der Religionen, statt einer Auseinandersetzung mit und über den Glauben. Deswegen braucht es mehr Wissen über Religion. Das gilt für Mitglieder aller Religionsgemeinschaften, auch für uns Christen.
Benötigen wir mehr Wissen über den Islam?
Institutionell ist das durch Religions- und Konfirmandenunterricht ganz gut abgedeckt. Zugleich gilt für Menschen in Kirchen, Synagogen und Moscheen, dass wir nicht allein mehr übereinander als vielmehr voneinander wissen sollten. Das gilt sicher auch für die muslimischen Gemeinden.
Dort müsste mehr getan werden?
Warum gibt es keinen muslimischen Religionsunterricht? Weil der Organisationsgrad der Muslime in unserer Gesellschaft nicht gerade ausgeprägt ist. Gesellschaftliche Strukturen müssen erkennbar sein, um belastbar zu sein. Für die politisch Verantwortlichen ist es schwer, verbindliche Vereinbarungen zu treffen, wenn man nicht weiß, wer für wen spricht.
Die mit Abstand am meisten zitierte Person in diesem Jahr war US-Präsident Donald Trump. Öfter als Jesus. Wieso zieht der Heiland gegenüber Trump den kürzeren?
Nun, das wollen wir erstmal abwarten. Nach allem, was wir wissen, war die Wortwahl Jesu immer respektvoll. Ich bin gleichwohl der Ansicht, dass es nicht angemessen ist, den amerikanischen Präsidenten zur Witzfigur zu machen. Das wird der Tragweite seines Handelns nicht gerecht.
Hat die Kirche einem wie Trump mit seiner Kommunikationsstruktur wie Twitter überhaupt etwas entgegenzusetzen?
Was Kirche und Digitalisierung angeht, haben wir bestimmt noch Nachholbedarf. Aber wir sind auf einem guten Weg. Ich hatte neulich ein Treffen mit Vikarinnen und Vikaren. Da habe ich gefragt, wer Facebook und Twitter nutzt.
Und?
Die meisten Hände gingen nach oben. Da entsteht etwas ganz Neues. Wir stehen vor der Wirklichkeit digitaler Gemeinden.
Das bedeutet?
Es können sich Menschen online zum Austausch über Glaubensfragen treffen, die sich vorher noch nie gesehen haben. Möglicherweise erleben diese Menschen dann einen intensiveren Austausch als viele Menschen in den Ortsgemeinden. Dann kommen natürlich auch interessante Fragen auf: Wie geht eigentlich Segen per Handy? Wie funktioniert das Abendmahl im digitalen Zeitalter?
Gibt es Antworten darauf?
Nein, das wissen wir noch nicht.
2017 war für die evangelische Kirche das Luther-Jahr. Würden Sie es als gutes Jahr für Protestanten bezeichnen?
Ich sage es mal so: Das hat uns in Schwung gebracht und in Atem gehalten. Und damit war es nicht nur für Protestanten ein gutes Jahr. Aber nennen wir es lieber Reformationsjubiläum, obwohl es sich am Ende oft auf die Symbolfigur Martin Luther reduziert hat. Mit viel angelagertem Quatsch: Zitaten die er nie gesagt hat, Strümpfen, die er nie getragen hat. Ich glaube, das war ein gutes Jahr für christliche Religion im öffentlichen Raum.
Die zentrale Veranstaltung war der Gottesdienst am 11. März in der Hildesheimer Michaeliskirche. Von dort sollte ein Impuls für die Ökumene ausgehen. Viel zu spüren war davon in den Folgemonaten nicht.
Ich unterscheide zwei Ebenen. Das eine ist die Dogmen- oder Dokumentenebene, und das andere ist die Gemeindeebene. Auf der Dokumentenebene sind die Bewegungen langsamer. Die Gemeindeebene ist schneller. Da treffen sich also zwei Veränderungsgeschwindigkeiten. Während des Gottesdienstes in der Michaeliskirche ist zum Beispiel dieser Satz gefallen: „Es ist gut, dass es euch gibt.“ Diese Aussage ist nicht mehr rückholbar. Es ist wichtig, dass beide Konfessionen das zueinander sagen.
Das Interview führten für die HAZ Christian Wolters und Martin Schiepanski. Redaktionelle Bearbeitung für wir-e: Öffentlichkeitsarbeit im Sprengel Hildesheim-Göttingen
Herr Gorka, stellen Sie sich vor, Sie sind TÜV-Prüfer und die Welt kommt zur Hauptuntersuchung. Bekommt sie die Plakette?
Ja.
Was steht auf der Mängelliste?
Vor allem ungelöste soziale Probleme, Flucht, Verfolgung, Vertreibung. Die Ursachen dafür sind nicht ausreichend angegangen worden. Aber der Zustand ist gegenüber der letzten Hauptuntersuchung deutlich verbessert.
Woran lesen Sie das ab?
Mehr Menschen haben Zugang zu sauberem Trinkwasser. Weniger Menschen hungern – und das bei weiter gewachsener Weltbevölkerung. Zudem greifen Bildungsinitiativen. Auch ist die Zahl der Kriege auf den Stand von Mitte der neunziger Jahre gesunken. Obwohl jeder Krieg einer zu viel ist.
Momentan drängt sich eher der Eindruck auf, dass die Welt aus den Fugen gerät. Selbst im Heiligen Land geht es zur Sache, seitdem darum gekämpft wird, wem denn die Stadt Jerusalem gehört.
Darüber muss man sich Gedanken machen. Ich mache mir aber derzeit noch mehr Sorgen darüber, dass es in Deutschland wieder offenen Antisemitismus gibt, Hassausbrüche spürbar sind und israelische Fahnen verbrannt werden.
Überrascht Sie das?
Ja, die Heftigkeit schon. Und das ist für mich auch nicht dadurch erklärbar, dass man darauf hinweist, dass es sich bei den Tätern um Migranten handele, die Konflikte ihrer Herkunftsländer an ihrem neuen Wohnort austragen. Das Problem ist tiefergehend.
Sind Sie mit der Reaktion aus Politik und Öffentlichkeit zufrieden?
Es war ein kräftiger Aufschrei zu hören. Inwieweit sich die Lage jetzt beruhigt, ist eine zweite Frage. Ich will deutlich sagen, dass mir das wehtut, wenn israelische Fahnen verbrannt werden. Es ist unerträglich, wenn es Angriffe auf jüdische Mitbürger und Einrichtungen gibt.
Also muss das Strafrecht geändert werden?
Ich denke, das Strafrecht gibt schon genug her. Im TÜV-Bericht der Welt steht übrigens auch: Rüstet mal alle verbal ab. Ich bin unbedingt dafür, Online-Kommentare nur unter Klarnamen zuzulassen und nicht mehr unter anonymen Phantasienamen. Wenn ich Online-Kommentare lese, erschrecke ich oft. Ich merke, dass sich sogar in Briefen, die mich erreichen, die Tonlage verändert hat.
Was ist der Grund dafür, nur Social Media?
Das glaube ich nicht. Jetzt muss ich eine Verlegenheit gestehen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum viele Leute unzufrieden sind. Große Teile der Bevölkerung in Deutschland leben in relativem Wohlstand. Wir erleben eine lange Friedenszeit in Mitteleuropa. Wir müssen nicht gleich befürchten, auf der Straße Gewalt zu erfahren. Eine große Zahl Menschen hat genügend Geld und Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten. Dennoch wächst die Unzufriedenheit.
Wird die Unzufriedenheit nicht auch geschürt?
Natürlich gibt es politische Kräfte, die auf dieser Welle reiten. Das haben wir ja auch im Zuge der Wahlen 2017 gesehen. Aber das kann nicht der alleinige Grund sein.
Es gibt aber auch unterprivilegierte Gruppen. Die Schere beim Einkommen geht weiter auseinander. Die Unzufriedenheit ist doch nachvollziehbar.
Ja, es gibt Armut in unserer Gesellschaft. Die Armen werden relativ ärmer und die Reichen relativ reicher. Das kann niemanden kalt lassen. Ich kann auch nicht begründen, warum ein Vorstandsvorsitzender eines niedersächsischen Auto-Unternehmens 250-mal so viel im Monat verdienen muss, wie ein Mitarbeiter am Band. Das ist nicht gerade ein Punkt, der sozialen Frieden stiftet.
Die großen Konflikte in diesen Tagen sind Glaubenskonflikte. Muss das einen Kirchenmann nicht skeptisch machen?
Ich denke, dass die meisten Konflikte, die Sie ansprechen, religiös-überformte nationale Konflikte sind. Das ist schlimmer Missbrauch der Religionen, statt einer Auseinandersetzung mit und über den Glauben. Deswegen braucht es mehr Wissen über Religion. Das gilt für Mitglieder aller Religionsgemeinschaften, auch für uns Christen.
Benötigen wir mehr Wissen über den Islam?
Institutionell ist das durch Religions- und Konfirmandenunterricht ganz gut abgedeckt. Zugleich gilt für Menschen in Kirchen, Synagogen und Moscheen, dass wir nicht allein mehr übereinander als vielmehr voneinander wissen sollten. Das gilt sicher auch für die muslimischen Gemeinden.
Dort müsste mehr getan werden?
Warum gibt es keinen muslimischen Religionsunterricht? Weil der Organisationsgrad der Muslime in unserer Gesellschaft nicht gerade ausgeprägt ist. Gesellschaftliche Strukturen müssen erkennbar sein, um belastbar zu sein. Für die politisch Verantwortlichen ist es schwer, verbindliche Vereinbarungen zu treffen, wenn man nicht weiß, wer für wen spricht.
Die mit Abstand am meisten zitierte Person in diesem Jahr war US-Präsident Donald Trump. Öfter als Jesus. Wieso zieht der Heiland gegenüber Trump den kürzeren?
Nun, das wollen wir erstmal abwarten. Nach allem, was wir wissen, war die Wortwahl Jesu immer respektvoll. Ich bin gleichwohl der Ansicht, dass es nicht angemessen ist, den amerikanischen Präsidenten zur Witzfigur zu machen. Das wird der Tragweite seines Handelns nicht gerecht.
Hat die Kirche einem wie Trump mit seiner Kommunikationsstruktur wie Twitter überhaupt etwas entgegenzusetzen?
Was Kirche und Digitalisierung angeht, haben wir bestimmt noch Nachholbedarf. Aber wir sind auf einem guten Weg. Ich hatte neulich ein Treffen mit Vikarinnen und Vikaren. Da habe ich gefragt, wer Facebook und Twitter nutzt.
Und?
Die meisten Hände gingen nach oben. Da entsteht etwas ganz Neues. Wir stehen vor der Wirklichkeit digitaler Gemeinden.
Das bedeutet?
Es können sich Menschen online zum Austausch über Glaubensfragen treffen, die sich vorher noch nie gesehen haben. Möglicherweise erleben diese Menschen dann einen intensiveren Austausch als viele Menschen in den Ortsgemeinden. Dann kommen natürlich auch interessante Fragen auf: Wie geht eigentlich Segen per Handy? Wie funktioniert das Abendmahl im digitalen Zeitalter?
Gibt es Antworten darauf?
Nein, das wissen wir noch nicht.
2017 war für die evangelische Kirche das Luther-Jahr. Würden Sie es als gutes Jahr für Protestanten bezeichnen?
Ich sage es mal so: Das hat uns in Schwung gebracht und in Atem gehalten. Und damit war es nicht nur für Protestanten ein gutes Jahr. Aber nennen wir es lieber Reformationsjubiläum, obwohl es sich am Ende oft auf die Symbolfigur Martin Luther reduziert hat. Mit viel angelagertem Quatsch: Zitaten die er nie gesagt hat, Strümpfen, die er nie getragen hat. Ich glaube, das war ein gutes Jahr für christliche Religion im öffentlichen Raum.
Die zentrale Veranstaltung war der Gottesdienst am 11. März in der Hildesheimer Michaeliskirche. Von dort sollte ein Impuls für die Ökumene ausgehen. Viel zu spüren war davon in den Folgemonaten nicht.
Ich unterscheide zwei Ebenen. Das eine ist die Dogmen- oder Dokumentenebene, und das andere ist die Gemeindeebene. Auf der Dokumentenebene sind die Bewegungen langsamer. Die Gemeindeebene ist schneller. Da treffen sich also zwei Veränderungsgeschwindigkeiten. Während des Gottesdienstes in der Michaeliskirche ist zum Beispiel dieser Satz gefallen: „Es ist gut, dass es euch gibt.“ Diese Aussage ist nicht mehr rückholbar. Es ist wichtig, dass beide Konfessionen das zueinander sagen.
Das Interview führten für die HAZ Christian Wolters und Martin Schiepanski. Redaktionelle Bearbeitung für wir-e: Öffentlichkeitsarbeit im Sprengel Hildesheim-Göttingen