Wie ein Sprung aus dem fahrenden Zug

Sat, 26 Nov 2016 10:23:01 +0000 von Ralf Neite

Kirchenkreisjugendwart Dietrich Waltemate geht in den Ruhestand

Hildesheim. Mit 64 Jahren noch in der kirchlichen Jugendarbeit – das hätte er nicht für möglich gehalten, als Dietrich Waltemate vor 33 Jahren seinen Dienst als Jugenddiakon in Hildesheim antrat. Doch bis heute fällt es dem Kirchenkreisjugendwart nicht schwer, mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Schwerer wird da wohl der Abschied in den Ruhestand am Ende des Jahres. Noch stapelt sich auf seinem Schreibtisch die Arbeit, noch ist er während der Brettspieltage voll eingespannt in den Gemeinden, von Abschied keine Spur: „Das wird wie ein Sprung aus dem fahrenden Zug“, sagt Dietrich Waltemate.

Er hat Generationen von Jugendlichen ein Stück ihres Weges begleitet, bei Jugendfreizeiten, Schulungen und Projekten. Die Zeit, die er in Gruppenleiterkursen verbrachte, summiert sich auf ein Jahr. Noch viel mehr Zeit gehörte dem Zirkus Mima, mit dem ihn viele identifizieren. Dabei sei der Mitmachzirkus gar nicht seine Idee gewesen, sagt Dietrich Waltemate. „Das ging von den Jugendlichen aus.“ Ein Zeltlager in Dänemark, das habe denen nicht gereicht: „Sie wollten auch etwas für andere machen.“ So wurde das Zirkusprojekt geboren.

„Das erste Mal ging völlig schief“, erinnert sich Waltemate. Aber die Jugendlichen wollten trotzdem weitermachen und seither ist er jedes Jahr mit dem Zirkus und einer Gruppe junger Menschen auf Tour gegangen. Nie wurde es ihm langweilig, nie zur Routine: „Ich kann mich immer freuen, wenn ein Kind entdeckt, ich habe da eine besondere Fähigkeit. Es ist was Tolles, wenn man Kindern so den Rücken stärken kann.“ Selbst könne er weder auf dem Seil balancieren noch Einrad fahren, das sei gar nicht nötig. Er habe den Kindern nur die Möglichkeiten und den Raum gegeben, etwas zu probieren.

Das sei überhaupt ein Prinzip, nach dem er heute ebenso wie vor 33 Jahren arbeite: Den Jugendlichen – oder auch Erwachsenen - nichts aufzudrücken, sondern deren Ideen und Bilder aufzunehmen und mit ihnen gemeinsam zu entwickeln. Die Ergebnisse seien oft beeindruckend und auch für ihn selbst überraschend: „Das ist das Faszinierende an diesem Beruf.“ Dabei habe er sich immer auf das Team von Kolleginnen und Kollegen stützen können, das viele Aktionen erst möglich gemacht habe. Der Kirchenkreis als Arbeitgeber biete sehr viel Freiraum, die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen selbst zu gestalten.

Dabei hat Dietrich Waltemate als junger Mann seinen heutigen Beruf keineswegs schnurstracks angesteuert. Er stammt aus dem kleinen Ort Meiborssen im Weserbergland, wo er eine Zwergschule besuchte, in der acht Klassen in einem Raum unterrichtet wurden – und die er in bester Erinnerung hat. Nach dem Volksschulabschluss kam die Lehre. Als Gürtler bearbeitete er Metall, stellte zum Beispiel Leuchter her. „Aber ich konnte mir nicht vorstellen, das mein ganzes Leben lang zu machen.“ Also bildete er sich fort, wurde Diakon, zuerst für fünf Jahre in Göttingen, danach 33 Jahre in Hildesheim.

Damals war die Jugend friedensbewegt, im Umweltschutz engagiert, „und einfach alles wurde diskutiert“. Der größte Unterschied zur Jugend heute liegt aber aus Dietrich Waltemates Sicht nicht in den Themen, sondern eher im Zeitmangel. „Die Schule nimmt die Jugendlichen sehr ein. Man kann kaum noch gemeinsame Termine finden“, sagt Waltemate. Die Folge: Die Jugendlichen machten zwar gern bei befristeten Projekten mit, aber langfristig wollten sie sich nicht binden. Denn Klausurtermine in der Schule gingen vor.

Irgendwann würde er wohl zu alt für die Jugendarbeit, dachte Dietrich Waltemate sich in den 1990er Jahren und sattelte ein berufsbegleitendes Studium der Sozialen Arbeit auf, um sich beruflich mehr Möglichkeiten offen zu halten. Doch der Augenblick kam nie – der Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt wollte auf den Kirchenkreisjugendwart keineswegs verzichten.

Nun ist es doch soweit, Dietrich Waltemate wollte mit dem Ruhestand nicht warten, bis die Gesundheit nicht mehr mitmacht. Er ist froh, dass seine Arbeit fortgesetzt wird. Nachfolgerin Elske Sibberns beginnt im Januar und wird auch den Zirkus Mima fortleben lassen, als „Zirkus vor der Stadt“ im Freizeitheim Groß Lobke.

Was für ihn nach dem Sprung aus dem fahrenden Zug kommen soll, weiß der 64-Jährige noch nicht so genau. Mit so viel freier Zeit habe er ja keine Erfahrung, machte sich selbst im Urlaub immer schon Gedanken über die nächsten Projekte, arbeitete oft abends und am Wochenende. Vieles musste deshalb bisher zurückstehen: Die Familie – seine Frau, drei Kinder und zwei Enkel – die Motorradtouren, der Besuch von Kulturveranstaltungen: „Das wird eine ganz neue Lebenssituation.“

Die Verabschiedung von Dietrich Waltemate findet am Sonntag, 4. Dezember, um 17 Uhr im Gottesdienst in der Martin-Luther-Kirche statt. Anschließend gibt es einen Empfang im Gemeindesaal. Wiebke Barth
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