Nachhaltige Wärme im Literaturhaus

Wed, 21 Oct 2020 12:24:18 +0000 von Ralf Neite

Hildesheim. Wenn einem im Hildesheimer Literaturhaus St. Jakobi ein Schauer über den Rücken läuft, kann das mehrere Gründe haben. Oft liegt es an den Lesungen, deren Sprachmacht einen durchaus mal erzittern lassen kann – vielleicht kam der Schauer aber auch daher, dass das alte Kirchengebäude keine moderne Heizung hatte – bis jetzt.

Es ist ein unübliches Bild: anstatt in St. Jakobi das Publikum auf einen literarischen Abend einzuschwören, steht Intendant Dirk Brall in den Katakomben einer Tiefgarage zwischen Literaturkirche und Van der Valk-Hotel. Um ihn herum hat sich eine ganz besondere Schar an Literaturfans versammelt, die am Dienstagabend nicht nur ein Buch, sondern auch den neuen Wärmetauscher präsentiert bekommen. 

Mit vorwiegend nachhaltiger Fernwärme können zukünftige Lesungen angenehm temperiert werden. Es ist nicht das Laufpublikum des Literaturhauses, das sich zu diesem Blick hinter den Vorhang versammelt hat, sondern der Förderkreis mit seinen Unterstützerinnen und Unterstützern. Seit einem Jahr besteht der fünfköpfige Förderkreis, bestehend aus dem Medienwissenschaftler Volker Wortmann, der Pastorin Susanne Kruse-Joost, der Lehrerin Barbara Hagedorn, dem Theaterpädagogik-Professor Wolfgang Sting und der Kulturwissenschaftlerin Julia Krankenhagen. Die Aufgabe der ehrenamtlich arbeitenden Gruppe von Literaturliebhabern: ein Netzwerk für das Literaturhaus in der Stadtgesellschaft aufbauen.

„St. Jakobi ist ein spannender, heterogener Kultur- und Begegnungsort“, erklärt Förderkreismitglied Wolfgang Sting. Er schätzt besonders, dass im Literaturhaus inter- und transdisziplinär gearbeitet wird, beispielsweise durch das Öffnen der Pforten für Kunstausstellungen oder studentische Projekte. „Hildesheim muss dieses Kleinod festhalten und pflegen“, sagt Sting – und am besten gehe das durch Integration in die Bürgerschaft.

Seine Kollegin Julia Krankenhagen pflichtet ihm bei. Die Kulturwissenschaftlerin hat bei einer Lehre zur Buchhändlerin in München erlebt, wie wertvoll und inspirierend ein gutes Zusammenspiel von Literaturbegeisterung und Zivilgesellschaft ist. In St. Jakobi sieht sie das Potential für einen Hort des literarischen Lebens. „Dieser Ort ist ein Glück!“

Im ersten Jahr schon hat der Förderkreis ein etwa zwanzigköpfiges Netzwerk von Unterstützerinnen und Unterstützern aufgebaut. Die Unterstützung sei in erster Linie ideell, aber Spenden sind ebenfalls Teil davon. 

Das erste materielle Projekt, das der Förderkreis mit den finanziellen Mitteln angeht, ist die Heizung, vor der die Lesefreunde stehen. Von den 65.000 € für die Anlage wollen die Förderinnen und Förderer 10.000 € übernehmen. Ein Projekt für mehrere Jahre, aber gerade mit der Unterstützung jenseits von Fördertöpfen der öffentlichen Hand könne man auch langfristig planen und große Projekte stemmen, betont Krankenhagen.

Für die Unterstützerinnen und Unterstützer steht an diesem Abend freilich mehr auf dem Programm als bloß die neue Heizanlage. Exklusiv für sie liest Annette Pehnt, Autorin und Professorin für Kreatives Schreiben in Hildesheim, aus ihrem Roman „Alles was Sie sehen ist neu“. 

In behaglicher Salonatmosphäre entfaltet Pehnts Prosa einen Sog, der die Zuhörenden mitnimmt in das China-ähnliche Fantasieland Kirthan. Der Roman beginnt in den Köpfen einer europäischen Reisegruppe, springt aber alsbald über in unbekanntere Gedankenwelten, wie die des einheimischen Reiseleiters oder gar der Lehrerin eines Dorfes, das mittlerweile einer Talsperre weichen musste. Die einstündige Lesung mit Gespräch vergeht wie im Flug.

Jedes Jahr will der Förderkreis so ein exklusives Treffen mit Kulturschaffenden organisieren. Wer ebenfalls unterstützen möchte, findet alle Infos unter stjakobi.de/forderkreis. Phillip Kampert
Quelle: Foto: Annette Hauschild/Ostkreuz
Umweltaktivistin Luisa Neubauer ist am 10. Dezember zu Gast in St. Jakobi. Der Abend ist allerdings bereits ausverkauft.
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