Pastor Hans Christoph Hermes geht nach zehn Jahren als Pastor der Martin-Luther-Gemeinde Drispenstedt-Nordstadt in den Ruhestand
Hildesheim. Es waren die großen Worte: Liebe, Vergebung, Wahrheit, denen er im Konfirmandenunterricht begegnet war, die Hans Christoph Hermes zum Theologiestudium brachten. Allerdings auch die Tatsache, dass sein Notendurchschnitt für ein Medizinstudium nicht reichte. Hermes blieb bei der Theologie und wurde Pastor; die vergangenen zehn Jahre in der Martin-Luther-Gemeinde in Hildesheim. Jetzt geht er in den Ruhestand. Der Verabschiedungs-Gottesdienst war ursprünglich für den 13. April geplant und muss ausfallen, wird aber später nachgeholt. Immerhin, die Abschiedsfeier mit den Kindern und Mitarbeitenden der Kindertagesstätten fand statt, ehe die Kontaktbeschränkungen dies unmöglich gemacht hätten.
Hans Christoph Hermes wurde 1954 in Göttingen geboren, wuchs in Hannover auf und kehrte nach Abitur und Zivildienst zum Studium nach Göttingen zurück mit der Vorstellung: „Mal gucken, was Wahrheit ist.“ Er habe aber schnell gemerkt, dass ein Studium darauf keine Antworten geben könne, sondern nur das Leben, berichtet Pastor Hermes. Er traf an der Universität KommilitonInnen, mit denen zusammen er sich politisch engagierte: „Wir fühlten uns progressiv, gingen zu Demonstrationen“, erinnert er sich ein wenig selbstironisch. Eine Zeit lang studierte er in Berlin, besuchte sogar als Gasthörer Vorlesungen im Osten der Stadt. Es gab abendliche Treffen mit den dortigen StudienkollegInnen, gemeinsame Freizeitunternehmungen, eine Friedensgruppe wurde gegründet: „Nach der Wende sind die alle in die Politik gegangen“, sagt Hermes. Der Kontakt zu diesen KommilitonInnen bestehe noch immer.
Als junger Pastor hatte Hans Christoph Hermes die Befürchtung, beim Einstieg in den Beruf in konservativen Kirchengemeinden auf Ablehnung neuer Ideen zu stoßen. Doch das sei überhaupt nicht eingetroffen. Nach dem Vikariat in Einbeck war seine erste Pfarrstelle in Winsen an der Aller: „Da waren alle unglaublich nett und freuten sich, dass ich kam.“ Die Gemeinde hatte nicht lange zuvor eine Rangelei zwischen zwei Pastoren erleben müssen, also sagte man dem Neuankömmling: „Hauptsache, Sie prügeln sich nicht.“
18 Jahre blieb Hans Christoph Hermes in Winsen. Heirat, die Geburt der drei Kinder und schließlich auch die Scheidung fielen in diese Zeit. Pastor Hermes engagierte sich in der Arbeitsgemeinschaft Bergen-Belsen und setzte sich für einen Ausbau der Gedenkstätte ein. Predigten über Bibeltexte halten und die deutsche Vergangenheit dabei außer Acht lassen? Das schien ihm unmöglich. Vergebung setze aus seiner Sicht eine Richtungsänderung voraus.
Nach der Zeit in Winsen arbeitete der Pastor als Krankenhausseelsorger in einer psychosomatischen Klinik, wollte aber wieder näher bei seinen Kindern leben und war wiederum als Gemeindepfarrer, dann in der Hospizseelsorge tätig. Zeitweise habe er nur eine halbe Stelle inne gehabt und seine Einkünfte durch Zeitungaustragen aufbessern müssen. Dann kam eines Tages ein Anruf von Superintendent Helmut Aßmann aus Hildesheim, der ihm die Pfarrstelle in der Martin-Luther-Gemeinde anbot. Aßmann hatte von seinem Celler Kollegen gehört, Pastor Hermes könne der Richtige dafür sein.
Nach einem Besuch in Hildesheim sei er zuerst nicht gerade begeistert gewesen, gibt Pastor Hermes zu. Auf den ersten Blick hätten ihm die Stadtteile Drispenstedt und Nordstadt nicht zugesagt. „Aber mir gefiel die soziale Thematik und wie die Gemeinde damit umging. Das war schon stark.“ Durch seine Erfahrung in den letzten zehn Jahren fand er das bestätigt. Anders als in den „Heile-Welt-Vierteln“ finde hier das echte Leben statt, meint der Pastor. Die Stadtteile seien eine Art Anzeiger gesellschaftlicher Probleme. Die Alteingesessenen und Zugezogenen, die Einwanderer unterschiedlicher Herkunft, sie hätten es nicht leicht miteinander: „Aber sie halten sich gegenseitig aus.“
Größten Respekt habe er dabei für die Integrationsleistung in den Kindergärten, die schon den Kleinsten den richtigen Umgang miteinander beibrächten. Neben Kirche und Kitas seien auch die Schulen und die Gemeinwesenarbeit ganz wichtige Faktoren. Und auch sein Blick auf die Nachkriegsarchitektur habe sich gewandelt: „Wer bei den Häusern der 50er Jahre von Bausünden spricht, wird der Wiederaufbauleistung nicht gerecht.“ Pastor Hermes will auch im Ruhestand in seiner Wohnung in der Hildesheimer Nordstadt bleiben. Auch weil der Bahnhof nah ist, und er von hier seine drei Kinder in deren Wohnorten schnell erreichen kann. Wiebke Barth