„Das ist gelebte Vielfalt“

Mon, 28 May 2018 09:59:15 +0000 von Ralf Neite

Tagung im Michaeliskloster über „Feiern im multireligiösen Kontext“ / Selimiye-Camii-Moschee lädt zum Fastenbrechen

Hildesheim. Ein Esstisch ist viel mehr als ein Möbelstück. Beim gemeinsamen Essen kommen Menschen zusammen, Familien, Gemeinden, Gemeinschaften. Eine lange Tafel hat die Selimiye-Camii-Moschee an diesem Abend bereitet. Denn die muslimische Gemeinde erwartet Gäste aus dem Michaeliskloster. 30 Religions-lehrkräfte, DiakonInnen, Geistliche, MusikerInnen und WissenschaftlerInnen aus ganz Niedersachsen treffen sich diese Woche dort, um sich über „Gottesdienste und religiöse Feiern im multireligiösen Kontext“ fortzubilden und Elemente von religiösen Feiern gemeinsam zu erproben.

Die Einladung der Gemeinde und ihres Dialogbeauftragten Emin Tuncay haben Dr. Silke Leonhard, Rektorin des Religionspädagogischen Instituts Loccum, Dr. Jochen Arnold, Direktor des Klosters, sowie Peter Noß-Kolbe, Beauftragter für Kirche und Schule im Sprengel Hildesheim, gerne angenommen. Denn in der Hildesheimer Nordstadt wird die Theorie zur Praxis.

Zahlreiche Gemeindemitglieder treffen sich an diesem Abend ohnehin zum gemeinschaftlichen Fastenbrechen, denn es ist Ramadan. Einen Monat lang haben Muslime vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung gefastet. In diesen Stunden verzichten sie auf Essen und Trinken, aber auch auf „schlechte Wörter“ oder „unnötige Arbeit“. „Es geht darum, zu verzichten, um sich auf die Seele zu besinnen und dankbar zu sein, für die Gaben, die wir täglich erhalten“, erläutert Musa Bagrac. Er kommt von der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Lünen, promoviert über interreligiösen Dialog an der Uni Münster und ist einer von sechs Referenten bei der Tagung.

Jochen Arnold hat als Gastgeschenk eine CD mitgebracht. Internationale Musik mit Psalmen und Gebeten in sechs Sprachen aus verschiedenen Konfessionen und Religionen. Sie trägt das symbolische Motto „Zeichen“.

Der Ramadan ist ein Monat im Islam. Weil der Kalender aus diesem Kulturkreis ein Mondkalender ist – im Gegensatz zum Sonnenkalender, wie er sich in Europa etabliert hat – wandert der Ramadan jedes Jahr um zehn Tage. Laut islamischer Lehre wurde dem Propheten Mohammed in der Höhle Hira zum ersten Mal der Koran offenbart. „In vielen Moscheen lesen die Gläubigen deswegen während des Ramadan den Koran“, erklärt Bagrac. Etwa 600 Seiten umfasst der Text, das entspricht etwa 20 Seiten pro Tag. Die Gemeindemitglieder finden sich in Gruppen zusammen und rezitieren das Werk.

Für Außenstehende hat diese Rezitation etwas Musikalisches. Für einen gläubigen Muslim trifft es das nicht genau, betont Bernhard König. „Musik ist etwas Menschengemachtes, der Koran ist hingegen das Wort Gottes und die Wiedergabe deswegen die Stimme Gottes.“ Bernhard König ist Erfinder des interreligiös-musikalischen Projektes Trimum e.V., welches er bei der Tagung vorstellt. „Musik ist eine gemeinsame Sprache ohne Grenzen und ein künstlerischer Weg zueinander“, findet Ermia, Islamwissenschaftlerin und Sängerin. Die beiden sind ebenfalls als Dozenten nach Hildesheim gekommen. Herz ihres europaweiten Projektes ist ein Trialog-Chor: Juden, Christen und Muslime singen darin gemeinsam.

Musik verbindet, obwohl sie in den Religionen eine unterschiedliche Rolle spielt. Für Christen sind Musik und Gesang integraler Bestandteil jedes Gottesdienstes. Beim Gebet der Muslime hingegen wird streng genommen nicht gesungen. „Allgemeingültige Aussagen kann man aber nicht treffen“, betont König. Es gibt muslimische Glaubensgemeinschaften, die auch Gesänge in ihre Zusammenkünfte mit einbeziehen, und bei Hochzeiten und Pilgerfahrten gehören diese ohnehin dazu, ebenso wie im Christen- oder Judentum. In diese Lücke stößt das Projekt Trimum und schafft neue interreligiöse Gesänge, die auch Muslime singen bzw. mitsingen können.

Über all diese Themen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede tauschen sich TagungsteilnehmerInnen und Gemeindemitglieder beim Fastenbrechen aus. Es gibt Wassermelone und Weintrauben, Lamm und Gebäck, Joghurt und Tee. „Das ist gelebte Vielfalt und ein Zeichen der Willkommenskultur“, freut sich Religionslehrer Bagrac. „Das müsste alltäglich werden“, stimmt Tagungsleiter Arnold zu. Immerhin hat das Fasten auch im Christentum Tradition. Vor Ostern verzichten beispielsweise viele Gläubige, aber auch die Adventszeit war ursprünglich eine Fastenzeit.

Den Folgetag lassen die TagungsteilnehmerInnen dann mit Musik, einer weiteren Brücke zwischen den Religionen, ausklingen. Bernhard König, Ermia und Aviv Weinberg gestalten diesen Abend mit Liedern zu den Themen Begegnung, Liebe, Flucht und Hoffnung. „Wir stehen in vielen Bereichen des Dialogs zwar noch am Anfang“, sagt Noß-Kolbe. „Wir sammeln Erfahrungen, kommen darüber ins Gespräch und die Stolpersteine werden nicht ausgeklammert. Aber in Hildesheim geht die Zusammenarbeit der Religionen gut voran. Es gibt viele Zeichen des Aufbruchs und der Hoffnung.“ Adrian Becker

Bild: Fastenbrechen bei Selimiye Camii mit TagungsteilnehmerInnen, ReferentInnen, Gastgebern und Gästen zusammen an einem Tisch.
Quelle: Adrian Becker
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