Historiker Dr. Hartmut Lehmann zieht in St. Michaelis-Kirche eine kritische Bilanz des Reformationsjubiläums
Prof. Dr. Hartmut Lehmann war Direktor am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen und ist Honorarprofessor an den Universitäten Kiel und Göttingen. Der 81-Jährige ist Experte für Neuere Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Religions- und Sozialgeschichte. In der Hildesheimer Michaelis-Kirche setzte er den Schlusspunkt einer Vortragsreihe zum Reformationsjubiläum und wagte eine kritische Bilanz. Im Interview erklärt er, woran es in der Luther-Dekade gemangelt hat.
KultundKom: Herr Lehmann, das sogenannte Luther-Jahr geht zu Ende. Wie haben Sie das Reformationsjubiläum erlebt?
Lehmann: Wir sollten uns vor Augen halten, dass wir eigentlich von einer ganzen Dekade sprechen müssen. Seit zehn Jahren hat die Kirche kontinuierlich auf dieses 2017 hingearbeitet. Aber zu Ihrer Frage: Ich habe ein Problem mit der Konzentration auf Luther.
KultundKom: Was stört Sie daran konkret?
Lehmann: Die Reformation war viel zu umfassend, um sie auf eine Person zu verengen. Zumal die reformatorische Bewegung ohnehin ein großes Ensemble von Akteuren vereinte und benötigte. 1521 war Luther vom Kaiser gebannt, geächtet. Er konnte sich nicht mehr frei bewegen. In vielen Landesteilen war er schlicht nicht präsent. Nach Hildesheim hat beispielsweise Johannes Bugenhagen die Reformation gebracht. Außerdem war Luther eine komplexe, eine ambivalente Figur. Er hat viel Gutes getan. Die Bibelübersetzung, seine Lieder, den Katechismus. Dem gegenüber stehen aber auch seine maßlos überzogene Papstkritik, der Streit mit Erasmus von Rotterdam, der viele Humanisten von der Reformation entfremdet hat, sowie seine Reden gegen die Bauern, gegen die Türken und gegen die Juden.
KultundKom: Zumindest letzteres wurde im Laufe dieses Jahres thematisiert.
Lehmann: Schließlich war es auch das erste Jubiläum nach dem Holocaust. Da muss die Frage gestellt werden, wie diese beiden Erinnerungskulturen sinnvoll miteinander verbunden werden können.
KultundKom: In den vergangenen Jahren ist Erinnerungskultur allerdings eher zum Reizwort geworden.
Lehmann: In Süddeutschland hat die NPD mit Luther Wahlwerbung gemacht. Die Behauptung, dass Luther NPD gewählt hätte, ist aber absolut nicht zutreffend. Trotzdem hatte der Mann seine dunklen Seiten. In ihrer Gesamtheit haben die jedoch während dieses Jubiläums keine Rolle gespielt. Allgegenwärtig war das Bild des gemütlichen Kirchenvaters.
KultundKom: Dagegen könnte man argumentieren, dass gerade ein so umfassendes, weitreichendes und komplexes Thema wie die Reformation ein menschliches Antlitz braucht, um den Menschen begreifbar zu bleiben.
Lehmann: Das war die Argumentation der Werbeleute. Das Ergebnis war jedoch Luther-Kitsch. Lustig, belanglos, trivialisierend. In dieser Hinsicht ein Triumph der Werbung. So war das Reformationsjubiläum vor allem Tourismusförderung. Die entsprechenden Reden gab es im Bundestag. Das hatte selbstverständlich nicht nur negative Folgen. Die eigentlichen Reformationsstätten sind in diesem Zuge wunderbar restauriert worden. Aber die Förderung floss fast ausschließlich nach Deutschland. Auch die Freikirchen sind nicht in angemessener Weise eingebunden worden.
KultundKom: Die Fokussierung auf die Person Luther, die Kooperation von Staat und Kirche während des Jubiläums und schließlich die Bezeichnung der zurückliegenden Dekade als „Dekade der Freiheit“ sind dementsprechend die Schwerpunkte Ihres Vortrags in Hildesheim. Wie hoffen Sie, dass die Zuhörer danach aus der Michaelis-Kirche gehen?
Lehmann: Sie sollen nachdenken, was diese zehn Jahre für sie bedeutet haben. Und weiterdenken.
KultundKom: Wenn Sie selbst weiterdenken, in welche Richtung sollte sich die Kirche beziehungsweise sollten sich die Kirchen weiterentwickeln.
Lehmann: Ich bin Historiker, kein Kirchenpolitiker. Ich persönlich finde es jedoch sinnvoll, was der EKD-Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und Reinhard Kardinal Marx auf den Weg gebracht haben – unter anderem beim gemeinsamen Gottesdienst in Hildesheim –, nämlich die Besinnung auf die Ökumene. Ich denke, die Überwindung der Spaltung ist wichtig und, dass sich die beiden Kirchen verzeihen.
Interview: Björn Stöckemann
Prof. Dr. Hartmut Lehmann war Direktor am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen und ist Honorarprofessor an den Universitäten Kiel und Göttingen. Der 81-Jährige ist Experte für Neuere Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Religions- und Sozialgeschichte. In der Hildesheimer Michaelis-Kirche setzte er den Schlusspunkt einer Vortragsreihe zum Reformationsjubiläum und wagte eine kritische Bilanz. Im Interview erklärt er, woran es in der Luther-Dekade gemangelt hat.
KultundKom: Herr Lehmann, das sogenannte Luther-Jahr geht zu Ende. Wie haben Sie das Reformationsjubiläum erlebt?
Lehmann: Wir sollten uns vor Augen halten, dass wir eigentlich von einer ganzen Dekade sprechen müssen. Seit zehn Jahren hat die Kirche kontinuierlich auf dieses 2017 hingearbeitet. Aber zu Ihrer Frage: Ich habe ein Problem mit der Konzentration auf Luther.
KultundKom: Was stört Sie daran konkret?
Lehmann: Die Reformation war viel zu umfassend, um sie auf eine Person zu verengen. Zumal die reformatorische Bewegung ohnehin ein großes Ensemble von Akteuren vereinte und benötigte. 1521 war Luther vom Kaiser gebannt, geächtet. Er konnte sich nicht mehr frei bewegen. In vielen Landesteilen war er schlicht nicht präsent. Nach Hildesheim hat beispielsweise Johannes Bugenhagen die Reformation gebracht. Außerdem war Luther eine komplexe, eine ambivalente Figur. Er hat viel Gutes getan. Die Bibelübersetzung, seine Lieder, den Katechismus. Dem gegenüber stehen aber auch seine maßlos überzogene Papstkritik, der Streit mit Erasmus von Rotterdam, der viele Humanisten von der Reformation entfremdet hat, sowie seine Reden gegen die Bauern, gegen die Türken und gegen die Juden.
KultundKom: Zumindest letzteres wurde im Laufe dieses Jahres thematisiert.
Lehmann: Schließlich war es auch das erste Jubiläum nach dem Holocaust. Da muss die Frage gestellt werden, wie diese beiden Erinnerungskulturen sinnvoll miteinander verbunden werden können.
KultundKom: In den vergangenen Jahren ist Erinnerungskultur allerdings eher zum Reizwort geworden.
Lehmann: In Süddeutschland hat die NPD mit Luther Wahlwerbung gemacht. Die Behauptung, dass Luther NPD gewählt hätte, ist aber absolut nicht zutreffend. Trotzdem hatte der Mann seine dunklen Seiten. In ihrer Gesamtheit haben die jedoch während dieses Jubiläums keine Rolle gespielt. Allgegenwärtig war das Bild des gemütlichen Kirchenvaters.
KultundKom: Dagegen könnte man argumentieren, dass gerade ein so umfassendes, weitreichendes und komplexes Thema wie die Reformation ein menschliches Antlitz braucht, um den Menschen begreifbar zu bleiben.
Lehmann: Das war die Argumentation der Werbeleute. Das Ergebnis war jedoch Luther-Kitsch. Lustig, belanglos, trivialisierend. In dieser Hinsicht ein Triumph der Werbung. So war das Reformationsjubiläum vor allem Tourismusförderung. Die entsprechenden Reden gab es im Bundestag. Das hatte selbstverständlich nicht nur negative Folgen. Die eigentlichen Reformationsstätten sind in diesem Zuge wunderbar restauriert worden. Aber die Förderung floss fast ausschließlich nach Deutschland. Auch die Freikirchen sind nicht in angemessener Weise eingebunden worden.
KultundKom: Die Fokussierung auf die Person Luther, die Kooperation von Staat und Kirche während des Jubiläums und schließlich die Bezeichnung der zurückliegenden Dekade als „Dekade der Freiheit“ sind dementsprechend die Schwerpunkte Ihres Vortrags in Hildesheim. Wie hoffen Sie, dass die Zuhörer danach aus der Michaelis-Kirche gehen?
Lehmann: Sie sollen nachdenken, was diese zehn Jahre für sie bedeutet haben. Und weiterdenken.
KultundKom: Wenn Sie selbst weiterdenken, in welche Richtung sollte sich die Kirche beziehungsweise sollten sich die Kirchen weiterentwickeln.
Lehmann: Ich bin Historiker, kein Kirchenpolitiker. Ich persönlich finde es jedoch sinnvoll, was der EKD-Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und Reinhard Kardinal Marx auf den Weg gebracht haben – unter anderem beim gemeinsamen Gottesdienst in Hildesheim –, nämlich die Besinnung auf die Ökumene. Ich denke, die Überwindung der Spaltung ist wichtig und, dass sich die beiden Kirchen verzeihen.
Interview: Björn Stöckemann