Seit 25 Jahren lädt die evangelische Kirche Kinder aus der Tschernobyl-Region zu vier lebensverlängernden Ferienwochen ein
Landkreis Hildesheim. Fast 30 Jahre liegt die Tschernobyl-Katastrophe nun zurück. Doch der Supergau, die Explosion eines Atomreaktors, ist alles andere als verjährt. Die Folgen reichen in die Gegenwart und werden auch in Zukunft die Menschen der Region belasten. Die evangelische Landeskirche hat deshalb vor 25 Jahre eine Ferienaktion für Kinder aus der Region Gomel bei Tschernobyl ins Leben gerufen. Auch in die beiden evangelischen Kirchenkreise Hildesheim-Sarstedt und Hildesheimer Land-Alfeld kommen jeden Sommer Kinder, um sich hier in Gastfamilie vier Wochen lang zu erholen. Denn vier Wochen in Deutschland, in den das radioaktive Isotop Cäsium 137 abgebaut wird, bescheren den Kindern und Müttern eine Verbesserung des Immunsystems, die wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge etwa ein bis zwei Jahre anhält und das Leben verlängert.
Der damalige Kirchenkreis Sarstedt war einer der ersten in der Landeskirche, die sich an der Aktion beteiligten. Pastor Johann-Gottlieb Visbeck, zu der Zeit Pastor in Sarstedt, hatte 1989 bei einer Versöhnungs-Pilgerreise in die Sowjetunion auch Weißrussland und die Stadt Gomel besucht. Dort hatte er versprochen zu helfen. 1992 las er in der Evangelischen Zeitung von der Ferienkinderaktion und setzte seine Worte in die Tat um.
„Wir haben sehr blauäugig angefangen“, erinnert sich Ursula Geiger aus Hasede, die von Beginn an dabei war. Vom Interesse am ersten Info-Abend wurde die kleine Arbeitsgruppe regelrecht überrollt. Die Sarstedter St.-Paulus-Kirche war voller als am Heiligabend. Die Bereitschaft, einen Monat lang Gasteltern für Kinder aus Gomel und der Umgebung zu sein, war Anfang der 90er Jahre groß. In einem Sommer kamen sogar mehr als 140 Kinder in den Kirchenkreis Sarstedt.
Damals kamen die Kinder noch mit dem Bus, heute per Flugzeug. Organisatorisch hat sich in all den Jahren sonst nicht viel geändert: Den Flug und die nötigen Versicherungen für jährlich insgesamt 700 Kinder in Niedersachsen bezahlt die evangelische Landeskirche. Die Ausgestaltung des Aufenthalts ist dann überwiegend Sache der Gasteltern. Zwischendurch fahren alle Kinder, die in einem der beiden Hildesheimer Kirchenkreise untergekommen sind, gemeinsam für eine Woche in den Harz oder an den Bernsteinsee – ohne Gasteltern.
Der Kirchenkreis Hildesheimer Land-Alfeld war ebenfalls früh mit im Boot, hatte dann aber eine längere Pause – bis Bernd Beutler, Hausmeister an der Schulrat-Habermalz-Schule in Alfeld die Aktion neu aufleben ließ. Das war vor zwölf Jahren. Inzwischen hat er enge Drähte nach Gomel, fährt auch einmal pro Jahr mit einem Hilfsgüter-Transport dorthin. „Bis auf ein paar Kleinigkeiten haben wir nur gute Erfahrungen gemacht“, berichtet Beutler. Auch die Sprache sei keine große Hürde. Die Gruppe wird von DolmetscherInnen begleitet, ein spezieller Sprachführer hilft bei den wichtigsten Alltagssituationen, der Rest lässt sich mit Händen und Füßen klären.
„Überrascht, wie gut es lief““, war auch Ines Krill aus Wendhausen, die sich 2011 zum ersten Mal als Gastmutter zur Verfügung stelle. „Ich wollte wissen, wie es ist, auch für andere Kinder da zu sein und nicht nur für die eigenen.“ Dahinter verbarg sich der Wunsch, Menschen zu helfen, die unter schwierigsten Verhältnissen leben müssen. Inzwischen seien echte Freundschaften entstanden, erzählt Regine Krone aus Dinklar. Seit 2002 macht sie mit, war schon diverse Male in Gomel, zu Silvesterfeiern und auch zu einer Hochzeit. Bärbel Dinkuhn aus Hildesheim war 1995 zum ersten Mal als Übersetzerin mit einem Hilfskonvoi dort. Ein Mann habe mit einem Geigerzähler die radioaktive Belastung gemessen. „Das war zum Teil gruselig“, erinnert sich Bärbel Dinkuhn.
Gemeinsam werden die drei Frauen nun die Ferienkinder-Aktion im Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt weiterführen; das bisherige Team mit Johann-Gottlieb Visbeck, Ursula Geiger und Wilhelm Hentrich gibt die Staffel an sie weiter. Leicht werden sie es nicht haben, denn volle Kirchen bei Informationsabenden gibt es längst nicht mehr. Überall in der Landeskirche wird es immer schwerer Gastfamilien zu finden. In dieser Hinsicht läuft die Aktion in Alfeld gegen den Trend: „Jedes Jahr haben wir kontinuierlich immer mehr Kinder einladen können. Mit acht haben wir angefangen, zuletzt waren es 30“, freut sich Bernd Beutler.
Inzwischen reist bereits die zweite Generation aus Gomel nach Niedersachsen: Frauen, die als Kind an der Aktion teilgenommen haben, begleiten nun ihre eigenen Kinder nach Deutschland. Wer in diesem Sommer Kinder aus der Region Gomel aufnehmen möchte, sollte sich schnellst möglich melden: für den Kirchenkreis Hildesheimer Land-Alfeld bei Bernd Beutler, Telefon 05181/2866155, für Hildesheim-Sarstedt bei Ursula Geiger, 05121/770956. Ralf Neite
Foto:
Regine Krone, Ines Krill, Bernd Beutler, Ursula Geiger, Bärbel Dinkuhn und Johann-Gottlieb Visbeck besprechen die nächsten Ferienaktionen für Tschernobyl-Kinder.
Seit 25 Jahren lädt die evangelische Kirche jeden Sommer Kinder aus Gomel – eine Region, die besonders stark vom Reaktorunfall in Tschernobyl betroffen war und ist.
Landkreis Hildesheim. Fast 30 Jahre liegt die Tschernobyl-Katastrophe nun zurück. Doch der Supergau, die Explosion eines Atomreaktors, ist alles andere als verjährt. Die Folgen reichen in die Gegenwart und werden auch in Zukunft die Menschen der Region belasten. Die evangelische Landeskirche hat deshalb vor 25 Jahre eine Ferienaktion für Kinder aus der Region Gomel bei Tschernobyl ins Leben gerufen. Auch in die beiden evangelischen Kirchenkreise Hildesheim-Sarstedt und Hildesheimer Land-Alfeld kommen jeden Sommer Kinder, um sich hier in Gastfamilie vier Wochen lang zu erholen. Denn vier Wochen in Deutschland, in den das radioaktive Isotop Cäsium 137 abgebaut wird, bescheren den Kindern und Müttern eine Verbesserung des Immunsystems, die wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge etwa ein bis zwei Jahre anhält und das Leben verlängert.
Der damalige Kirchenkreis Sarstedt war einer der ersten in der Landeskirche, die sich an der Aktion beteiligten. Pastor Johann-Gottlieb Visbeck, zu der Zeit Pastor in Sarstedt, hatte 1989 bei einer Versöhnungs-Pilgerreise in die Sowjetunion auch Weißrussland und die Stadt Gomel besucht. Dort hatte er versprochen zu helfen. 1992 las er in der Evangelischen Zeitung von der Ferienkinderaktion und setzte seine Worte in die Tat um.
„Wir haben sehr blauäugig angefangen“, erinnert sich Ursula Geiger aus Hasede, die von Beginn an dabei war. Vom Interesse am ersten Info-Abend wurde die kleine Arbeitsgruppe regelrecht überrollt. Die Sarstedter St.-Paulus-Kirche war voller als am Heiligabend. Die Bereitschaft, einen Monat lang Gasteltern für Kinder aus Gomel und der Umgebung zu sein, war Anfang der 90er Jahre groß. In einem Sommer kamen sogar mehr als 140 Kinder in den Kirchenkreis Sarstedt.
Damals kamen die Kinder noch mit dem Bus, heute per Flugzeug. Organisatorisch hat sich in all den Jahren sonst nicht viel geändert: Den Flug und die nötigen Versicherungen für jährlich insgesamt 700 Kinder in Niedersachsen bezahlt die evangelische Landeskirche. Die Ausgestaltung des Aufenthalts ist dann überwiegend Sache der Gasteltern. Zwischendurch fahren alle Kinder, die in einem der beiden Hildesheimer Kirchenkreise untergekommen sind, gemeinsam für eine Woche in den Harz oder an den Bernsteinsee – ohne Gasteltern.
Der Kirchenkreis Hildesheimer Land-Alfeld war ebenfalls früh mit im Boot, hatte dann aber eine längere Pause – bis Bernd Beutler, Hausmeister an der Schulrat-Habermalz-Schule in Alfeld die Aktion neu aufleben ließ. Das war vor zwölf Jahren. Inzwischen hat er enge Drähte nach Gomel, fährt auch einmal pro Jahr mit einem Hilfsgüter-Transport dorthin. „Bis auf ein paar Kleinigkeiten haben wir nur gute Erfahrungen gemacht“, berichtet Beutler. Auch die Sprache sei keine große Hürde. Die Gruppe wird von DolmetscherInnen begleitet, ein spezieller Sprachführer hilft bei den wichtigsten Alltagssituationen, der Rest lässt sich mit Händen und Füßen klären.
„Überrascht, wie gut es lief““, war auch Ines Krill aus Wendhausen, die sich 2011 zum ersten Mal als Gastmutter zur Verfügung stelle. „Ich wollte wissen, wie es ist, auch für andere Kinder da zu sein und nicht nur für die eigenen.“ Dahinter verbarg sich der Wunsch, Menschen zu helfen, die unter schwierigsten Verhältnissen leben müssen. Inzwischen seien echte Freundschaften entstanden, erzählt Regine Krone aus Dinklar. Seit 2002 macht sie mit, war schon diverse Male in Gomel, zu Silvesterfeiern und auch zu einer Hochzeit. Bärbel Dinkuhn aus Hildesheim war 1995 zum ersten Mal als Übersetzerin mit einem Hilfskonvoi dort. Ein Mann habe mit einem Geigerzähler die radioaktive Belastung gemessen. „Das war zum Teil gruselig“, erinnert sich Bärbel Dinkuhn.
Gemeinsam werden die drei Frauen nun die Ferienkinder-Aktion im Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt weiterführen; das bisherige Team mit Johann-Gottlieb Visbeck, Ursula Geiger und Wilhelm Hentrich gibt die Staffel an sie weiter. Leicht werden sie es nicht haben, denn volle Kirchen bei Informationsabenden gibt es längst nicht mehr. Überall in der Landeskirche wird es immer schwerer Gastfamilien zu finden. In dieser Hinsicht läuft die Aktion in Alfeld gegen den Trend: „Jedes Jahr haben wir kontinuierlich immer mehr Kinder einladen können. Mit acht haben wir angefangen, zuletzt waren es 30“, freut sich Bernd Beutler.
Inzwischen reist bereits die zweite Generation aus Gomel nach Niedersachsen: Frauen, die als Kind an der Aktion teilgenommen haben, begleiten nun ihre eigenen Kinder nach Deutschland. Wer in diesem Sommer Kinder aus der Region Gomel aufnehmen möchte, sollte sich schnellst möglich melden: für den Kirchenkreis Hildesheimer Land-Alfeld bei Bernd Beutler, Telefon 05181/2866155, für Hildesheim-Sarstedt bei Ursula Geiger, 05121/770956. Ralf Neite
Foto:
Regine Krone, Ines Krill, Bernd Beutler, Ursula Geiger, Bärbel Dinkuhn und Johann-Gottlieb Visbeck besprechen die nächsten Ferienaktionen für Tschernobyl-Kinder.
Seit 25 Jahren lädt die evangelische Kirche jeden Sommer Kinder aus Gomel – eine Region, die besonders stark vom Reaktorunfall in Tschernobyl betroffen war und ist.
Quelle: Ralf Neite / Jens Schulze