Das Mittelalter klingt heute ziemlich modern

Sun, 20 Sep 2015 10:57:01 +0000 von Ralf Neite

Das Musical „Bernward und das Geheimnis der Zeitmaschine“ erfindet die Geschichte neu

Hildesheim. Es fängt schon lustig an, da hat es eigentlich noch gar nicht begonnen. Fünf Minuten nach sechs, am Samstag in der Pauluskirche in Himmelsthür, die Kirche fast komplett gefüllt. Um sechs hätte es losgehen sollen, die Zuschauer werden unruhig. Da sagt Harald Breitenfeld, Kreisjugenddiakon, heute an der Gitarre: „Geht gleich los, einige mussten noch auf Toilette.“ Gelächter im Publikum. Die Toilettengänger gehören zu 33 Kindern und Jugendlichen, die heute Abend das Musical „Bernward und das Geheimnis der Zeitmaschine“ auf die Bühne bringen.

Dann geht es los. In grünen, braunen und roten Kutten betreten die Darstellerinnen und Darsteller die Bühne. Einige tragen lange Gewänder, andere Kronen oder Umhänge. Hier soll das Mittelalter dargestellt werden. Oder vielmehr eine Zeit des Mittelalters, die es so gar nicht gegeben hat. Die Idee zum Musical kam Kirchenkreiskantor Helge Metzner als er sich mit Forschungen des Historikers Heribert Illig beschäftigt hat.

Illigs These ist, dass etwa 300 Jahre des Mittelalters, beginnend mit dem 7. Jahrhundert, schlicht erfunden wurden. Diese Ansicht ist zwar widerlegt, dennoch fand Metzner, es sei ein interessanter Gedanke: Zeit erfinden. Im Musical geht es um den jungen Otto, der Sachsen regiert, und von Bischof Bernward in seinen Geschicken beraten wird. Den Sachsen geht es schlecht. In der ersten Szene klagen Händlerinnen und Händler ihr Leid, die Menschen würden nur noch das Allernötigste kaufen. Ein Hellseher in Schwarz verkündet: „Der jüngste Tag ist nah!“

Schlechte Voraussetzungen zum Regieren. Was tun? Abgaben erhöhen, Kriege führen? „Ich hab’s“, jubelt der junge König, „wir werden Zeit erfinden!“ Gesagt, getan. In den Schreibstuben der Klöster werden Geschichten und Legenden erdacht, die das Volk erstarken lassen sollen. Mit der erfundenen Zeit ist man zudem näher am Millennium, dem Anbruch des siebten Schöpfungstages und damit der Vollendung der Zeiten. Das Musical erzählt dicht und schnell. Auf kurze theatrale Einlagen folgen Chorgesänge, begleitet von Soul- und Pop-Klängen. Das Mittelalter klingt heute ziemlich modern.

Initiiert wurde „Bernward und das Geheimnis der Zeitmaschine“ vom evangelischen Kirchenkreisjugenddienst, Harald Breitenfeld hatte die Projektleitung. Für die Inszenierung verantwortlich war Carola Lüking, die in Hannover Darstellendes Spiel studiert. Auf einer neuntägigen Musical-Freizeit in Niendorf am Timmendorfer Strand Ende August wurde geprobt, gesungen und beraten. Gemeinsam habe man sich angeschaut, wie die Menschen im Mittelalter ausgehen und gelebt haben, so Lüking. Einige Kinder hätten selbst im Internet recherchiert. Martha Fredebold hat die Kostüme dann noch auf der Freizeit geschneidert und gefärbt.

Dafür, dass die meisten Darstellerinnen und Darsteller noch nie vor Publikum gesungen haben, war das Stück ein voller Erfolg. Über kleine Text- und Gesangsschwierigkeiten schaut man angesichts der aufwendigen Inszenierung gerne hinweg. Ein halbes Jahr lang hat Helge Metzner am Musical geschrieben und die Musik komponiert. Am Ende sagt er strahlend: „Ich bin sehr zufrieden.“ Christoph Möller

Bilder

Ein schwarz gekleideter Hellseher verkündet den Untergang der Welt: „Der jüngste Tag ist nah!“

Nach der Musical-Freizeit haben sich die Darstellerinnen und Darsteller zwei Wochen lang nicht gesehen. Vor dem Auftritt wurde deshalb den ganzen Tag geprobt.

Helge Metzner als musizierender Hofnarr. Der Kirchenkreiskantor hat das Musical geschrieben und die Musik komponiert. Neben ihm Projektleiter Harald Breitenfeld.
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