Die vergangenen Jahre waren reich an Zeichen der ökumenischen Verbundenheit zwischen beiden großen Kirchen in Hildesheim und in Südniedersachsen. Und doch war es eine Premiere: Zum ersten Mal sprach mit Heiner Wilmer ein katholischer Bischof als Hauptredner beim Jahresempfang der Sprengels Hildesheim-Göttingen in der Hildesheimer Michaeliskirche. Vor rund 700 Gästen aus Kirche, Gesellschaft und Politik bedankte sich der Heiner Wilmer und zog dann das Auditorium mit seinem frei vorgetragenen Vortrag über den biblischen Mose in seinen Bann.
Dabei entwarf der Theologe im großen Rahmen die Lebenserzählung dieser wichtigen biblischen Gestalt. Von der Aussetzung des Neugeborenen im Kästchen auf dem Nil, dem Auffinden des Kindes durch die Tochter des Pharao, Aufwachsen, Erfolg und Scheitern und seinem immer wiederkehrenden Ringen mit Gott. Anders als es in den Erzählungen über Abraham und Noah berichtet wird, fügte Mose sich aber nicht ohne Widerstand in Gottes Pläne. Jedoch siegte schlussendlich immer seine Bereitschaft, Neues zu wagen und sich auf Gottes Offenbarung einzulassen, sagte Wilmer. Neugierig zu sein sei für ihn eine wichtige Führungsqualität. Auch Offenheit und Interesse an der Welt gehörten zur guten „Leadership“ dazu.
In seinem Buch „Hunger nach Freiheit. Mose – Wüstenlektionen zum Aufbrechen“ hat Heiner Wilmer seine Interpretation der Person Mose beschrieben. An seinen Gedankengängen dort orientierte er sich auch im Vortrag. Dabei blieb eine kritische Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Religion nicht aus. Der britische Rabbi Jonathan Sacks habe dazu als These formuliert: „Je abstrakter der Gottesbegriff, desto humaner die Gesellschaft“, hob Wilmer hervor.
Für das Europa im 21. Jahrhundert erinnerte Heiner Wilmer abschließend daran, dass die abendländische Kultur nicht nur in Athen und in Rom ihre Wurzeln habe. Freiheitsliebe, Sehnsucht nach Aufbrüchen, Neugier - das alles sei ihr schon lange vorher in die Wiege gelegt worden. Das komme in den Wüstengeschichten und Erzählungen aus Ägypten und Israel ebenso zum Ausdruck wie in der Lebensgeschichte des biblischen Mose als einer herausragenden biblischen Führungsgestalt.
An Stelle von Landessuperintendent Eckhard Gorka, der sich nach einer Operation noch in einer Anschlussheilbehandlung befindet, hatte zuvor die stellvertretende Landessuperintendentin Katharina Henking aus Alfeld die Gäste und den Redner begrüßt. Als Dankeschön überreichte sie dem katholischen Bischof nach seinem Vortrag einen verkleinerten 3-D-Faksimiledruck eines Christusmedaillons aus dem Kloster Amelungsborn . Landessuperintendent Gorka steht dem evangelischen Konvent dort als Abt vor. Das kleine Geschenk versinnbildliche das geschwisterliche Miteinander zwischen evangelischer und katholischer Kirche, so wie es Bischof Wilmers Vortrag in der Michaeliskirche auch im Großen tue, sagte Katharina Henking.